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Pfingstfeuer und mittendrin die Mutter vom guten Rat

Liebe Schwestern und Brüder, liebe Freunde

Die Tage sind bewegt und Pfingsten liegt in der Luft. Das ist immer dann, wenn ein sonst unscheinbarer Strauch wie Pfingstfeuer in Blüte steht. Ich bete jetzt oft den Rosenkranz draussen im Garten und unser dunkelrotes „Pfingstfeuer“, vom Summen der Bienen noch besonders belebt, lässt mich auch heute wieder innehalten.

„Der Geist ist es, der lebendig macht“ – vom Pfingstfeuer rüber summt es mir entgegen. Lebendig sein dürfen! In all dem, was in diesen Wochen das Leben bedroht, ja vielleicht todbringend nach dem Leben greifen möchte, zerstörerisch für Geist, Seele und Leib einfach alles verschlingend scheint. Der Strauch in der Pfingstfeuerblüte spricht von Kraft und dem Feuer des Geistes und dem Leben.

Jemand hat mich in den letzten Tagen gefragt, wie wir denn das alles hier aushalten und wie es uns denn geht, wenn wir eben halt nicht helfen können, wenn wir an unsere Grenzen stossen. Da habe ich nur eine Antwort, die wir uns schon vor einigen Jahren gegeben und zum Leitspruch gemacht haben: „MENSCHSEIN KÖNNEN WIR IMMER!“

Ja, so manches Mal bleibt eben nur dies: Menschsein können! Nicht als eine Ausrede für „Ausruhen“ oder Bequemlichkeit, nicht als Schlafmittel für schlaflose oder durchsorgte Nächte! Immer wieder hat uns in den letzten Wochen das Schicksal von einigen Kindern hier manchmal den Schlaf geraubt. Da kam eine Mutter mit ihrer 8-jährigen Tochter. Sie war leicht am Bauch verbrüht. Wir konnten sie gut versorgen. Aber beim Gehen sah ich ihre verfärbten Hände und fragte, ob sie denn gemalt habe. Die Mutter schüttelte den Kopf und sagte: „Nein, das ist vom Tabak.“ Ich war sofort hellhörig und bohrte nach. Nun stellte sich heraus, dass die gesamte Familie auf den Tabakfeldern arbeitet. Sie kommen aus einer Gegend, wo die Leute ausschliesslich vom Tabakanbau leben – seit Generationen ist das so. Wir wussten das schon.  Aber dass Kinder auf den Feldern mithelfen, dass die Familien die geernteten Tabakblätter in den Häusern lagern und dort noch bündeln usw., dass wussten wir nicht. Die Kleine hat oft Kopfweh, Übelkeit. Hat sie schon die „Grüne Krankheit“?  Es ist aufgezeichnet, dass Kids nach einem Tag Arbeit in Tabakfeldern eine Nikotinmenge intus haben, die dem Rauchen von bis zu 50 Zigaretten am Tag entspricht. Ich denke seitdem viel darüber nach, habe auch mit dem Priester dort gesprochen. Es ist schwer, den Leuten zu vermitteln, dass dies für die Kinder schädlich ist. Sie sagen, dass seit Generationen der Tabak angebaut wird, dass nichts anderes wächst und dass das besser ist, als zu verhungern. Und sie sind ahnungslos. Der Priester hat mir dann erzählt, dass er es wenigstens geschafft hat, dass keine hochgiftigen Pestizide mehr verwendet werden. Nun sind wir am Überlegen, ob für jene Familien, die den Tabak noch zum Trocknen im Haus haben, wenigstens Baucontainer gekauft werden könnten, um den Tabak dort zu lagern und zu trocknen. Der Tabak ist das Gold der Tabakbauern, denn sie leben davon. Lieber würden die Angehörigen der Familien draussen schlafen, als den Tabak nicht trocken zu lagern. Droge Nikotin – ahnungslos den Kindern angetan!

Ja, und unversehens sind wir in diesen Monaten immer wieder beim Alkohol- und Drogenproblem gelandet, auch bei wachsender Abhängigkeit vom Smartphone schon bei kleinen Kindern unter 10 Jahren. Völlig überforderte Mütter, deren Männer massenweise als Emigranten nur noch im Urlaub da sind, überlassen ihre schon kleinen Kinder diesem Suchtmittel. In unserem Kindergarten sind in diesem Jahr Dreijährige gekommen, die durch Smartphone-Nutzung nur noch ein paar Englischwörter reden, noch keinen Ansatz von Spielverhalten oder altersgemässer Sozialkompetenz zeigen. Wir haben inzwischen völlig andere pädagogische Konzepte, um diesem einigermassen gerecht zu werden. Aber auch da sind wir am Anfang. Und wieder: die Mütter, Omas und auch noch verbliebene Väter sind völlig ahnungslos, was hier schon in den kleinen Gehirnen ausgelöst wird. Bildung, Aufklärung. Wir sind am Anfang. Es ist keineswegs so, dass sie Ignoranten wären.

Alkoholabhängigkeit vor allem der Männer ist eklatant. Aber auch vor allem junge Mädchen konsumieren. Die wirtschaftliche und soziale Lage wird zunehmend chaotischer und die Aussichtslosigkeit für viele Familien ebenso. Und da ist der Alkohol halt nahe, um den Stress für eine kurze Zeit zu vergessen – der Teufelskreis beginnt. Ich wurde in eine Nachbargemeinde von den Schwestern zum Guten Hirten gerufen, da dort das Suchtproblem unter den Jugendlichen und Kindern auffällig angestiegen ist. 12-Jährige rauchen ununterbrochen, 14-jährige sind an der Nadel. Krystal ist im Konsum gestiegen, Gras ist schon „out“. Von Abri weiss ich, dass während des Unterrichtes etliche Schüler halt „Snus“ konsumieren, weil sie „ohne“ gar nicht mehr sein können. Das Thema der Abhängigkeit beschäftigt mich schon lange, seit ich jedoch so konfrontiert wurde, bin ich unruhig. Es ist hier noch völlig TABU. Nun war ich bei den Jugendlichen der Schwestern vom Guten Hirten. Thema: Abhängigkeit, Drogen! Die Schwester sagte mir so einen halben Tag vorher, dass sie den Jugendlichen, die immer zur Katechese kommen, nicht gesagt hat, dass es um Drogen geht, denn sonst würden sie nicht kommen. Ich habe geschluckt und gedacht, dass diese Stunde nun in die Hose gehen muss. Es war dem nicht so. Die Schwester meinte danach, so still wäre es noch nie gewesen. Da klopfe ich mir nicht auf die Schulter – ich bin eher erschüttert. Mit 2 Stunden ist nichts erreicht, nichts gelöst. Von den 12 Jugendlichen waren mindestens zwei, die tief in der Szene stecken. Und die anderen wissen davon. Alle wissen, wo man den Stoff besorgen kann. Wie man in die Sucht rutschen kann, das wusste keiner. Ich habe dann mit der Schwester noch lange gesprochen und Fragen an uns gestellt: Wo sind wir? Haben wir mehr als nur Moralpredigten? Haben wir mehr als nur Sätze wie: „Finger weg von dem Zeug? Das ist gefährlich oder sogar Sünde?“  Wissen wir, was diese Jugendlichen hier denken und welche Perspektiven sie haben? Interessiert es uns wirklich? Wo sind wir, wenn es ihnen schlecht geht? 

Die Familienstrukturen zerfallen: die Grossfamilie gibt es nicht mehr, viele Angehörige sind im Ausland, die Jugendlichen haben zum grossen Teil Väter, die gar nicht mehr im Land sind oder depressiv selbst im Alkohol hängen. Da entstehen soziale Hotspots, die uns die kommenden Jahre in Trab halten werden. Und ich frage mich, wenn ich das Pfingstfeuer angucke: „Haben wir nicht unseren Glauben auch eher als billiges Opium gedealt? Haben wir die Jugend versucht, mit Glaubensevents bei der Stange zu halten? Haben wir uns nicht mit Programmen und Angeboten wie die Dealer verhalten, die ein paar Glückshormone mit ihrem Drogen-Produkt versprechen?“ Dies ist eine kritische Anfrage an mich selbst am allermeisten? Oder brenne ich noch – wie das Pfingstfeuer? Brennen wir so, dass unser Zeugnis so authentisch ist, dass sie von selbst kommen und wie Mose vor dem Dornbusch die Schuhe ausziehen und erkennen dürfen, wie ein GOTT mit ihnen ist – gerade, wenn es ihnen nicht so gut geht? Bringen wir sie durch unser Leben zur Sehnsucht nach dem, der das Leben ist und nicht nur kurzweiliges „Happy Life“ gibt? Dies fragt mich unser Pfingstfeuer im Garten, direkt neben einem grossen Felsbrocken.

Gestern kam eine Jugendheimleiterin. Sie hat Jugendliche mit Drogenabhängigkeit. Sie ist engagiert, aber weder sie noch ihre Mitarbeiterinnen haben die geringste Ahnung, welche Drogen im Heim im Umlauf sind, noch welche Wirkung diese haben können. Sie haben keine Ahnung, was Symptome von Abhängigkeit sind, keine Ahnung über erste Anzeichen des Konsums. Einzig der Horror bleibt bei den Erziehern: der Horror vor jenen, die in einem Horrortrip enden könnten, einige sind so aggressiv, wenn sie keine Droge haben, dass die Erzieherinnen ihnen Geld vom Lohn geben, damit sie den Stoff kaufen können. Und da erinnere ich mich an mein erstes Horrorbild hier vor Jahren, das ich nie vergessen werde: es gab einen Toten wegen Blutrache. Ich ging zur Sippe und im Korridor des Betonbaues kauerte ein Vierjähriger. Kol hiess er. Der Junge rauchte eine Zigarette und aus seiner Nase kam ein langer Wurm! Oft habe ich dieses Bild noch vor mir, besonders wenn ich verwahrloste Kinder sehe.

Und da ist dann der Omer, unser Zweijähriger, der sich mit heisser Milch verbrüht hat. Die Mutter ist selbst noch ein Kind. Omer hat noch eine ältere Schwester. Irgendwie ist halt der Milchtopf über ihn gekippt. Wir haben ihn damals, vor drei Monaten erstversorgt, dann in die Brandklinik nach Tirana gebracht. Dort hat er knapp überlebt. Nun wurde er in katastrophalem Zustand zu uns zurückgeschickt. Und er ist von brutaler Behandlung schwer traumatisiert. Im Universitätsspital werden die Verbände einfach beim Wechsel ritschiratsichi heruntergerissen. Omer wurde in eine Badewanne gesetzt und bei 50 Prozent verbrannter Haut ohne Narkose gesäubert. Mehr kann ich Euch nicht mehr zumuten. Und auch ich selbst verbiete mir das Nachdenken darüber. Dass er mir hier versucht, in den Hals zu beissen, das verstehe ich. Und dann haben Mutter und Grossmutter noch von dem Kleinen verlangt, dass er die „gute Schwester“ küsst. Meine Verweigerung haben sie nun hoffentlich verstanden. Ich weiss nicht, ob wir ihn hinkriegen. Omer war ziemlich mollig, als er damals kam. Nun ist er Haut und Knochen. Aber schon beim zweiten Mal war er ruhiger. Er hat ein wenig mit mir über unser „Beisskrokodil“ kommuniziert. Und er hat eine Banane von mir genommen. Und nun muss ich in Bezug auf Omer ein Wunder der Mutter vom Guten Rat erzählen: Sie ist die Muttergottes von Shkoder, die der neue Papst in Italien besucht hat. Sie hat eine Geschichte der Auswanderung: Während der Zeit der Besetzung der Osmanen sind Shkodraner geflüchtet. Es wird beschrieben, dass das Bild der Muttergottes vom Guten Rat in die Emigration vorausging – hinüber nach Italien. In der Nähe von Rom in einer Kirche wird dieses Bild nun aufbewahrt. Und hier in Shkoder ist natürlich auch ihr Bild – jedes Haus hat die Muttergottes bei sich – wir auch. Viele Notfälle habe ich ihr schon anempfohlen und so auch Omer. Wo wir nicht mehr weiterwissen, da brauchen wir sie umso mehr. Und nun habe ich heute in einem Videocall eine Zusage zur Behandlung von Omer erhalten. Drei gute Männer werden uns helfen, dass Omer hier die richtigen Wundauflagen bekommt. Und wir tun unser Bestes, dass es der Kleine schafft. Das Übrige überlassen wir dem einen HEILENDEN!  

Da sind viele, die schwer krank sind. Viele, viele. Da ist die alte Frau, deren Wange vom Krebs zerfressen wird. Und das Geschwür hat bis in die Mundhöhle ein Loch gefressen. Die Frau hat der Tone (unsere Mitarbeiterin) die Hände geküsst, als wir wenigstens mit Schmerzmitteln lindern konnten. Seitdem schläft sie ein paar Stunden. Und da ist ein junger Kerl mit 17 Jahren. Auf einer Spritztour mit dem Freund knallten sie an einen Telefonmasten. Er wurde mit einem Schädeltrauma von Shkoder nach Tirana gebracht, dann aber wieder heimgeschickt, weil die Hirnblutung laut Arzt gleich wieder eingetrocknet ist. Als er nach fünf Tagen nur noch schlief und schwer zu erwecken war, riefen sie uns. In das Dorf brauchten wir so 40 Minuten. Die Ärzte sagten, es brauche halt Zeit. Wir fanden die Mutter und den Bruder völlig orientierungslos und in grosser Angst um den Jugendlichen vor. Ich stellte fest, dass er Schwierigkeiten hat, die Augen zu öffnen bei Ansprache, dass er leicht verlangsamt spricht und irgendwie automatisierte Bewegungen vollzieht. Er äusserte sich über starke Kopfschmerzen und verträgt weder Geräusche noch Tageslicht. Kopfdrehen tut ihm weh. Eine mit viel Energie veranlasste Resonanz ergab gar nix. So blieb uns nichts, als zu erklären, was eine Contusio ist, eine Halsbandage brachte ihm sichtlich Linderung und der Arzt erlaubte dann auch Paracetamol. Wir erklärten der Mutter, warum sie den Puls kontrollieren muss und ihn auch nachts zwischendurch mal aufwecken soll. Sie war erleichtert. Und die Telefonnummer, um uns zu erreichen, war für sie die grosse Entlastung. Sie konnte dann weinen: endlich nicht mehr allein mit dem Elend sein. Sie haben für die Scanner und Resonanz viel Geld bezahlt, mussten für den Transport Schulden machen usw. Und sie hatte furchtbar Angst, dass ihr Sohn einfach nicht mehr aufwacht. Es geht ihm aber nun besser und wir hoffen, dass er sich erholt und genesen darf. So ist es Mai geworden und hier sind die Rosen schon am Verblühen. Ich glaube, wir haben mehr als tausend Rosen im Garten.

Unsere Mitarbeiter im Haus hatten Sehnsucht nach ihren Bergen. Eines Morgens kurz nach 6 Uhr sind wir rausgefahren – Richtung Berge. Nach einer kurzen meditativen Wanderung war dann auf einer grossen Steinplatte mitten in der Wildnis von uns das Frühstück gerichtet. Es war einfach schön! Es gibt noch Fleckchen hier, die noch nicht von Touristen erobert und überlaufen und auch noch nicht vermüllt sind. Und die Diversität der Pflanzen ist enorm. Heilpflanzen wie Arnika, Salbei, Pfefferminze, Kamille findet man dort - neben Rosmarin, Thymian, Knabenkraut, Frauenschuh, ja sogar wilde Freesien. Es ist das Fleckchen Erde, das ich sehr liebe und das ich manchmal aufsuche, um allein mit Gott und der Welt zu sein. Und dort bin ich dann auch der Schlange begegnet. Es hat dort noch die schwarze Kreuzotter.

Albanien ist wild, Albanien ist arm, korrupt und oft unglaublich verkommen. Aber Albanien ist schön und frei und ursprünglich und das Pfingstfeuer blüht und ist lebendig wie Albanien. Und so wünschen und erbitten wir das Feuer des Heiligen Geistes in uns, um uns und mit uns, für die Welt, die so geschunden ist, dass ihr Antlitz heiler werden darf.

Wir danken für all Euer Wohlwollen, Eure so treue Hilfe und Euer uns begleitendes Gebet.

Mit herzlichem Gruss

Sr. Christina und Sr. Michaela

 

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Unser Pfingstfeuer im Garten

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