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Hochsommer

Liebe Schwestern und Brüder, liebe Freunde, grüss Gott aus dem albanischen Hochsommer. Einige von Euch haben wohl schon Ferien und Urlaub und dazu wünschen wir alle Euch Freude und Erholung und Durchatmen vom Alltag. Ich hoffe, Euch allen geht es gut und Ihr habt auch Unwetter gut überstanden. Wir haben öfters in den Nachrichten von schweren Stürmen und Sommergewittern gehört.

Ja, Hochsommer ist es hier, aber er ist zum ersten Mal sehr anders als die vielen Jahre, die wir hier sind: es gibt viel Regen, die Luftfeuchtigkeit bei uns ist jeden Tag über 50 %, meistens sind es um die 80 %. Den Kleinbauern verfault die eh schon spärliche Ernte auf den Feldern, den Familien um uns herum das Gemüse in den Gärten. Der Hagel vor einigen Tagen hat in einigen Regionen um uns herum die gesamte Ernte und jede angesetzte Frucht der Traube zerschlagen. Und am Mittwochmittag war ein relativ starkes Erdbeben vor allem in Tirana und Durres und die Menschen liefen in Panik auf die Strassen. Seitdem ist Mutter Erde unruhig und kommt nicht ins Gleichgewicht und will uns vielleicht sehr viel sagen, denke ich.

Da kommt dann gleichzeitig die Nachricht, dass in Durres der Müllnotstand ausgerufen werden soll. Bei uns werden weiter jeden Abend und in der Nacht Unmengen von Plastikmüll verbrannt, dass wir bei der Hitze die Fenster schliessen müssen.

Und Mutter Erde klagt und bebt und ich wünsche mir, dass wir Menschen wieder Achtung haben vor ihr, und den Zeichen, die sie gibt. Und so liebe ich den albanischen Sommer nach wie vor, auch wenn er heuer anders ist. Ich sitze in der Früh draussen bei der Grotte unserer Muttergottes und betrachte. Die grün schimmernde Eidechse guckt aus dem Steinloch, in das sie sich eingenistet hat. Sie beobachtet sehr genau, welche Bewegung ich mache und ich beobachte, wie sie reagiert. Wir haben uns angefreundet in diesen Morgenminuten. Unsere Hausgrille zirpt auch jeden Morgen und dann bis spät in die Nacht. Unser Garten ist ein Stückchen schöne Wildnis und hin und wieder wagt auch eine Schlange den Gartengang. Sonst sind sie sicher im Gestein der Mauer und ich denke, sie haben ihren Lebensraum hier ganz heimlich aufgebaut, ohne dass sie ängstliche Gemüter verschrecken. Und unsere albanischen Mitarbeiter sagen uns oft, dass auch wir die Hausschlange Bora haben, die unser Haus bewacht. Diese Schlange darf auf keinen Fall getötet werden, sonst kommt das Unglück über ein Haus. Leider werden so ziemlich alle anderen Schlangen sofort totgeschlagen. Dass wir sie hier leben lassen, das erstaunt sie über alles.

Hochsommer, ein wenig anders heuer. Wir haben Schwester Jacoba hier; eine wunderbare Gärtnerin, eine Köchin, die aus allem was macht. Und wir haben einen Baum voll mit Unmengen von Pflaumen und die Kranken bringen Früchte. So steht Sr. Jacoba in der Küche und kocht Marmelade ein, zaubert Zwetschgenkuchen und Früchtejoghurt und experimentiert mit Heilkräutern. Abraham hat da viele Fragen an sie. Oft denke ich dankbar, wie friedlich wir es haben und wie voll wir beschenkt sind. Mir kommen oft Tränen, wenn die Armen das Letzte aus ihrem Garten bringen, um für die Behandlung in der Ambulanz zu danken. Selbst Eier, Milch und selbst gemachten Käse bringen sie an. Ja, wir sind dankbar. Die Unwetter, die bedrohlich über uns waren, sind bis jetzt am Kloster vorüber gegangen. Wir danken Gott und oft und oft segnen wir, wenn schwarze Wolken über uns sind und Blitze nahe einschlagen. Die letzten Tage hatten wir lange Stromausfälle. Dann taut uns der Kühlschrank ab und wir ziehen es vor, lieber wenig im Gefrierfach zu haben. Gestern war plötzlich „Licht“ aus, Strom weg. Ein Anruf beim Chef der Strombrigade war hoffnungslos. Es waren ja schliesslich zwei Fussballspiele (Viertelfinale). Und da geht niemand nach einem Defekt schauen. Schlimmer geht es dann einem Patienten, der als Notfall in die Notaufnahme ins Krankenhaus muss. Wir mussten eine Frau einweisen, die eine Naht brauchte. Sie wurde unversorgt nach Hause geschickt, da der Notfallarzt das Fussballmatch anschauen „musste“. Ja, unsere vielen Kranken: sie kommen wie in Scharen und es werden immer mehr. Neulich mussten wir „Aufnahmestopp“ verhängen. Aber auch da ist uns Gott spürbar nah und sorgt selbst für „Nachwuchssperre“. Wir brauchen uns nicht sorgen, das sehen wir jeden Tag. Und immer wieder erleben wir da Eure Hilfe – in jeder Beziehung. Da kommen mit einem Transport vier Krankenbetten, die schon alle vergeben sind. Viele, viele Schwerkranke, vor allem Krebspatienten verfaulen praktisch in den Häusern. Wir haben inzwischen eine Art mobile Ambulanz aufgebaut, die auch Betten, Rollstühle, Nachtstühle usw. verleiht. Wichtiger als dies ist jedoch unser Hausbesuch, das Gespräch, die Anleitung der Ange-hörigen, die letzte Begleitung. Ich wünsche mir, dass wir im Herbst eine Art Pflegekurs für Angehörige abhalten können. Da geht mir sowieso das Herz auf.

Ich muss Euch noch von unserer alten Lisa mit dem verbrannten Gesicht erzählen. Langsam, langsam heilt die Gesichtshälfte. Sie braucht viel Geduld. Und eines Tages erzählte sie, dass sie während des Kommunismus im Gefängnis war. Sie wurde verleumdet und angezeigt, dass sie zwei leere Sisalsäcke gestohlen habe. Sie bekam einige Jahre harte Haftstrafe dafür. Nach sechs Monaten kam sie jedoch frei, weil der Meineid des Anzeigers aufflog. Lisa erzählte, wie sie mit fünf weiteren Personen auf knapp 6 Quadratmetern in der Zelle stehen mussten. Es war eiskalt und sie standen bis zu den Knien im Wasser, auch in den eigenen Exkrementen. Sie hustete Blut, als sie dann frei kam. Dann erzählte sie, wie sie Gedichte „schrieb“: „Ins Gehirn“, sagte sie, „denn Stifte gab es nicht“. Und sie sagte uns ein Gedicht auf. Ich weinte, als sie rezitierte. Beim nächsten Verbandswechsel hatte sie das Gedicht mit zittriger Hand aufgeschrieben und mir und Sr. Michaela gewidmet. Lisa verarbeitet ihre Vergangenheit. Und wir haben wieder einmal Teil an der albanischen Geschichte, die uns immer wieder erschüttert. Zeitzeugen und Opfer des kalten Kommunismus lassen uns zu ihren Vertrauten werden. Oft genug erzählen sie nur im Flüsterton. So auch ein alter Priester, der wegen seiner Hühneraugen hierher kommt, aber dann viel, viel erzählt. Er ist halt doch nicht nur wegen der Hühneraugen hier. Ich sitze dann auf einem Stühlchen, seinen schweren Fuss im Schoss und hoble am Hühneraug herum, Schwester Michaela leuchtet und der alte Pfarrer erzählt von 12 Jahren Gefängnis und seinem Erlebten. Auch er fällt dann wie zurück und schaut, ob die Tür zu ist und flüstert und sagt, dass es niemand wissen darf. Und ich sehe, wie seine Beine immer dicker und dicker werden und ich creme ihm noch die trockene Haut ein und er sagt dann ganz trocken: „Ich werde bald den letzten Gang antreten und gerufen werden“. „Reif ist das Korn zur Ernte in diesem Sommer“ denke ich. Und nun ballen sich wieder Gewitterwolken über uns und windstill ist es geworden.

Aber ich muss noch von Gabriela, unserer kleinen Heldin, erzählen. Da gibt es viele Helden in dieser Geschichte. Ich danke allen, die geholfen haben, ein kleines Leben zu retten. Viele Namen wären zu nennen. Aber Ihr wisst Euch angesprochen, ohne dass ich Euch alle nenne. DANKE, DANKE – auch im Namen der Eltern. Ja, Gabriela ist zurück. Luise hat die Kleine und ihre Mutter die fünf Wochen mit grösstem Einsatz begleitet. DANKE auch da. Gabriela wächst und es geht ihr gut und die Eltern sind glücklich. Da sie arm sind, werden wir sie weiter etwas unterstützen. Gabriela darf leben und wir hoffen, dass ihr Leben glückt.

Und das Glück, das wünschen wir auch unseren Vorschulkindern, die nun vorgestern mit ihrem Diplom für die Schule förmlich aus dem Kindergarten stolziert sind. Die Diplomfeier haben Luise und Larissa ganz bombastisch vorbereitet. Und die Eltern waren noch stolzer als ihre Kinder. Ja, sie sind, Dank der tollen Arbeit unserer Erzieherinnen, gut auf die Schule vorbereitet. Das ist eine gute Startchance für die Kinder der Armen hier. Die Vorzeichen für eine gute Bildung sind gelegt. So hat die Leiterin des Sozialdienstes von Shkoder bei der Aufführung von „Rabe Socke“ mit den Kindergartenkids anfangs Juni folgendes gesagt: „Die Kinder in der Peripherie von Shkoder wie hier in Dobrac waren stigmatisiert und in der Stadt als primitiv und nicht lernfähig eingestuft. Seit das Kinderzentrum der Schwestern besteht, ist dieses Vorurteil eliminiert und wir Städter wurden eines anderen und des Gegenteils belehrt!“

Ihr alle seid mit Eurer Unterstützung für uns, mit jeder Gabe, mit jedem Gebet und mit jedem Wohlwollen an dieser Entwicklung mitbeteiligt und dafür danken wir Euch alle.

Einen guten Sommer und herzliche Segensgrüsse

Eure Sr. Christina

 

hochsommer 2018

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