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Der Mohn gehört der Schlange

Liebe Schwestern und Brüder, liebe Freunde in der Heimat

Hinter uns liegen ein paar intensive Wochen und wir stellen wieder einmal fest, dass Langeweile nicht unser Hausgast ist. Oft auch in diesen Wochen denke ich an Euch alle, die Ihr uns so unterstützt, in welcher Weise auch immer. Dafür möchte ich explizit DANKE sagen. Es ist wie frischer Rückenwind für uns, wie das Wehen des guten Geistes, der uns anhaucht, manchmal auch antreibt. DANKE für jedes wohlwollende Denken an uns, jedes Gebet, jede Hilfe, jede Zeit, jede Arbeit für uns hier. Und so erzähle ich, was so «rundrum» gerade los ist.

Ja, es blüht wieder der blutrote Klatschmohn wild auf den Feldern und Hängen. Manchmal weht der Mohn mir die Schwermut der Ukraine zu – das Blutrot lässt mich an die Schwestern und Brüder denken, die dort jeden Augenblick ihr Leben lassen. Und ich frage eindringlich den Mohn, ob er keine Botschaft des Lebens habe. Die blutroten Blüten wiegen im Wind und es quillt das Leben aus den Blüten – auch blutrot. Ich muss selbst abwägen, welche Botschaft der Mohn für mich hat. Und ich weiss, dass er mich auch zwischendurch um vergossenes Blut trauern lässt – sei es dort im Krieg und hier in der Blutrache. Und der rote Mohn hier ist von einem Mythos umgeben, der uns vor ein paar Tagen erzählt wurde. Ich bekam einen Strauss dieser roten Blumen geschenkt und arrangierte ihn am Gang. Eine Mitarbeiterin kam und sagte: «Schwestern, die Mohnblume gehört der Schlange, die dürfen die Menschen nicht haben.» Ich fragte: «Vitore, und wer sie pflückt, was geschieht mit dem?». Sie sagte kategorisch: «Man darf sie nicht pflücken, denn es sind die Blumen der Schlange!» Mehr Erklärung war ihr fremd - sehr fremd. Was der Schlange gehört, das ist TABU. Ohne Warum. Ich habe verstanden – wieder einmal viel verstanden. Und so gehört der Mohn der Schlange und die Schlange vielleicht ja auch zum Mohn – wie das Blut zum Krieg und zum Leben. Aber ich sehe noch die flackernde Angst in den Augen von Vitore, die Angst, dass uns jetzt das Unglück treffen wird, da wir der Schlange den Mohn geraubt haben.

Das Leben ist in diesen Tagen hier noch schwerer geworden für die Armen. Der Krieg raubt den Armen das letzte Stück Brot. Heute waren zwei Bedürftige vor unserem Tor, die völlig abgemagert waren. Beide haben nicht mehr genug zum Essen, da die Preise so sehr gestiegen sind, dass es für nötige Ernährung nicht mehr reicht. Sie baten um Lebensmittelhilfe. Vor unserem Tor werden es jeden Tag mehr Bittsteller. Wir tun, was wir können. Und wir sind froh, dass einige Obstbäume haben, die Gärten bald Früchte tragen. So ist es wenigstens für die Leute auf dem Land leichter, die Kinder durchzufüttern. Die Städter in Shkoder trifft es härter. Vor allem ältere Menschen verarmen völlig; die Renten gibt es nicht oder sie reichen einfach nicht mehr für das Nötigste. Und dennoch bringen uns die Patienten das letzte Ei, die ersten Kirschen, um sich zu bedanken. Es ist uns oft arg, da wir wissen, dass sie selbst nicht genug haben. Aber es ist diesen Menschen so wichtig, etwas dazulassen. Es ist, als gäbe es ihnen Würde und es ist gut so.

Ich muss noch etwas erzählen, was mich einfach bewegt. Ich hatte einen Patienten, der nicht ganz einfach ist, eher zu den verschlossenen Menschen gehört und eher misstrauisch und mürrisch durchs Leben geht.

Vor einigen Tagen konnte ich ihn entlassen; die Wunden waren geheilt. Er guckte mich an und sagte: «Schade, ich werde sie vermissen - daheim habe ich nur meine Katze, mit der ich reden kann. Schwester und ich habe was gesehen: ihre Seele lacht immer». Mit diesem Satz ist mir ein «Amanet», ein besonderes Vermächtnis, gegeben.

Und dann ist da noch ein Wunder, das ich erzählen möchte. Unser schwer verbrannter Andi ist in Zürich im Kinderspital! Dies haben wir in keinster Weise erwartet und nicht mal zu träumen gewagt. Wie es dazu kam: die Verbandswechsel bei Andi sind immer mehr zum Drama geworden, die Wundheilung ging nur schleppend. Ich wagte es, im Kinderspital in Zürich in der Brandstation um Rat zu fragen, schickte ein paar Fotos. Und wunderbare Menschen dort haben uns ermöglicht, dass Andi nun dort behandelt werden kann. Es war ein Wettlauf, auch mit unserer Nervenstärke: Pässe für Andi und die Mama mussten schnellstens besorgt werden, die gesamte Bürokratie für eine Ausreise ist hier ein Abenteuer. Wir mussten Klamotten richten, Koffer packen. Dann der Transfer: Schwester Michaela und Felicitas erklärten sich bereit, mit dem Kleinen und seiner Mama mit dem Auto einfach durchzufahren. Die Mitschwestern in der Schweiz erklärten sich auch bereit, alle zu unterstützen und zu empfangen. Das Auto wurde zur fahrenden Ambulanz eingerichtet. Dann – am Abend vor der Abreise - bekam der Vater von Andi die Panik und hat beschlossen, dass er jetzt seinen Sohn mit Naturmitteln behandelt. Er hat uns angerufen, dass alles annulliert sei und sich für alle Bemühung bedankt. Er hat mir noch gesagt, dass er seinem Sohn jetzt eine wunderbare Salbe auf die Wunden geschmiert hat und er auch keinen Verband mehr braucht, da es an der Luft heilen muss. Wir waren alle wie vom Blitz getroffen. Ich rief ab 21:00Uhr sicher zehnmal an, aber erfolglos. Die Mutter hatte sich zu fügen und fügte sich. Diese Nacht werden wir wohl lange nicht vergessen. Die Achterbahn unserer Gefühle auch nicht. Wir sahen keine Chance, etwas daran zu ändern. Und wir wussten, dass Andi daheim vermutlich an einer schweren Infektion sterben würde. Ich spürte eine lange Nacht meine gebundenen Hände. Irgendwann sagte ich mir, (oder dem Vater) «Ok, dann halt nicht, es ist dein Sohn - wir haben es leichter, wenn wir das alles nicht durchziehen müssen und sparen uns einen Haufen Geld, das wir eh zusammengekratzt haben.»

In der Früh um 6.30 Uhr kam der Abraham und sagte mir: «Du musst es unbedingt nochmal bei Andis Vater versuchen. Du musst es schaffen. Er muss in die Schweiz, sonst stirbt er!»

Ich spürte einen Anflug von Rebellion in mir: «Abri, wir haben alles versucht - er hat sich anders entschieden!» Dies wollte ich schon rausblasen. Aber ich sah in die Augen von unserem Abri, in das selbstverständliche Wissen, dass ich darin las wie in einem Buch: «Christina, klar Du wirst das nochmal versuchen, du kannst doch kein Kind einfach so lassen, wenn ein Vater daneben ist…der Andi der muss in die Schweiz..» Und so nahm ich das Handy wie automatisch in Allerfrühe und legte nochmal los. Nach zwei Stunden konnten wir den Andi und seine Mama abholen. Er stand dann bei uns im Korridor mit nacktem Oberkörper, die schweren Wunden ohne Verband, die Natursalbe tropfte runter. Um 9.30 Uhr war dann Andi verbunden und im Auto gelagert und Sr. Michaela mit ihrer Engelsgeduld, Felicitas mit ihrer Ausstrahlung von Ruhe und der Andi mit der verängstigten Mama fuhren los Richtung Zürich.

Inzwischen ist Andi operiert, wenn es auch einige Turbulenzen mit dem jungen Mann gegeben hat. Wir können nur allen danken, die da sind für ihn, die sich kümmern und auch finanziell helfen. Und wir hoffen, dass Andi genesen kann.

Neben dem roten Mohn zeigt sich hier die Natur in der Fülle einer Blüte, wie ich sie selten sah. Es hat ein paarmal geregnet und ich staune jeden Tag über die Schöpfung. Gestern Nachmittag trieb es mich raus und Lukas und Donata fuhren spontan mit in die nahen Hügel.

Während Schwester Michaela hier die uns geschenkten Kirschen zur süssen Marmelade kochte, wollten wir wilden Salbei sammeln. Es waren ein paar wunderbare Stunden. Die wilde Vielfalt in den Hügeln und zwischen den Felsen ist ungebrochen. Wir fanden eine Vegetation mit rosa Freesien und Orchideen, grossem Zittergras und wundersamen Disteln. Donata rutschte raus: «Das ist ja schon fast magisch!» Und dann stieg uns der Geruch von Salbei in die Nase: stark und in die Berge gehörend! Diesen Salbeigeruch kann man nicht in der kultivierten Pflanze schmecken. Dafür muss man in die albanischen Berge. Fast feierlich nahmen wir einige Blätter zum Trocknen mit. «Die Heilpflanze muss dort bleiben, wo sie der Schöpfer hingestellt hat.» Dies sagte uns dort ein Einheimischer, der uns eine traurige Geschichte erzählte. Wir trafen ihn, als wir am Hang zwischen den Steinen rumhüpften. Ich begann ein Gespräch mit ihm und er erzählte uns die Geschichte von seinem Dorf:

Das Dorf ist leer. Vor noch zehn Jahren haben alle Dörfler vom Verkauf der Salbeiblätter gelebt. Sie hüteten die Pflanzen – sie wussten, dass Plündern alles zerstören würde. Dann kamen die Leute vom Tal unten. Und die haben die meisten der Pflanzen mit den Wurzeln ausgerissen und ins Tal verpflanzt – zum Kultivieren. Die Dörfler waren ruiniert und die meisten mussten weggehen. Wir sahen einige Salbeipflanzen nachwachsen. Und ich sagte dem Mann, dass die Natur sich vielleicht erholen könnte. Er solle sie schützen. Ob er Hoffnung hat? Ich weiss es nicht. In jedem Fall werden wir nochmal dorthin gehen. Vielleicht ist der Mann dann wieder da und lebt dort weiter in diesem Dorf. Der Salbei gehört dem Berg. Und der Mann sagte noch: «Unser Salbei vom Berg kann dort unten nicht heilsam werden. Er hat keine Kraft da unten. Der Salbei gehört in den Stein!»
Und ja: der Mohn gehört der Schlange!

Und wir grüssen Euch sehr herzlich vom Klösterle in Dobrac, wohin wir gehören

Sr. Christina mit allen hier

 

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