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Sommerhitze


Liebe Schwestern und Brüder, liebe Freunde und Bekannte,


grüss Gott aus dem brütend heissen Klösterle in Dobrac. Vielleicht sind einige von Euch schon in Urlaub. Da wünschen wir erholsame gute Tage und für die anderen schon mal die Vorfreude aufs Durchatmen.

Derweil stockt uns hier derzeit der Atem von der gleissenden Hitze überm Land. Seit Wochen regnet es nicht und heisser Wind bläst uns den Sand aus der Sahara in die Atemwege. Und unser Blick geht besorgt rundrum in die Hügel, wo Rauch hochsteigt. In der Nacht bin ich heute einige Male an die Fenster gegangen, um mich zu versichern, dass die trockene Wiese des Nachbarn nicht Feuer gefangen hat. Schwester Michael und ich stiegen um 22.00 Uhr noch auf den Dachboden und sahen am Hügelzug das lodernde Feuer. Wir können nur um Regen beten. Der Staat hat gestern Hilfe von der NATO angefordert, um die Brände unter Kontrolle zu bekommen und zu löschen.

Inzwischen sind in Shkoder 15.000 Leute ohne Trinkwasser und das Flussbett der Drini ist so trocken wie nie seit ich in Albanien bin. Nun wird immer stundenweise der Strom abgeschaltet. So werden die Lebensmittel im Kühlschrank und Eisfach dann unbrauchbar, die Gefahr der Salmonellose ist hoch. Aber wir haben noch aus unserem Brunnen Wasser, um die Pflanzen zu giessen. Und nichts desto trotz nutzen unsere Kids noch die Tage, um im Schwimmbecken hinter unserem Haus ihre Freude zu haben. Schwer haben es die Kranken, besonders unsere Patienten mit Verbrennungen. Und da kommen jeden Tag neue bei uns an. Scheinbar macht die Hitze noch unaufmerksamer und müde und dann kippen 7 Liter  heisse Milch über den Körper.

Eben war eine Patientin da mit einer Verbrennung durch einen explodierten Dampfkochtopf. Es ging noch glimpflich für sie ab. Bei  Shpresimi ist das nicht so. Er hat knapp überlebt, da er 70 Prozent verbrannt war. Die Gasfunzel zum Kaffee kochen ist explodiert. Der Arzt hat ihn daheim behandelt, abgezockt und die Angehörigen kamen am vierten Tag völlig am Ende zu uns. Wir gingen sofort zu ihm und fanden den Patienten in komatösem Zustand kurz vor dem Nierenversagen und die verbrannte Haut  hing in Fetzen vom Körper, die Wunden waren schwer infiziert.  Wir richteten ein Auto als  Notfallambulanz ein und karrten ihn nach Tirana. Nach der Notfallbehandlung (4 Wochen Krankenhaus) kam er in einem noch üblen Zustand wieder hierher. Seine Oberarme sind noch eine offene Wunde und die Hitze tut das übrige. Shpresimi erzählte dann, dass alle Männer in seinem Krankenzimmer immer in Wutsalven ausbrachen, bevor das „Verbandskommando“ kam. Dann brüllten alle wie die Tiere vor Schmerz, weil die Verbände ohne Schmerzmittelgabe einfach runtergerissen werden. Er schluchzt nach dem Verbandswechsel bei uns und bedankt sich für die humane Behandlung. Und er sagt noch, er habe nie gebrüllt, weil er das nicht gewöhnt sei. Ich schlucke und denke nun an die kleine vierjährige Luisa, die schwer verbrannt im Krankenhaus war und jetzt total traumatisiert auch zu uns kommt. Sie ist sicher ein  Leben lang von diesen brutalen Erfahrungen geprägt. Und ich frage mich natürlich, wie wir bei so einer Kleinen, die wir trotz allem verbinden müssen, noch Mindestvertrauen aufbauen können, Angst nehmen, Hilflosigkeit abbauen usw.  Schwester Michaela hat zu ihr nun einen guten Draht gefunden und Luisa lässt sie an ihre Wunden. Ich denke immer, wenn ich Luisa sehe, an eine Vierjährige, die mir vor ein paar Jahren schlichtweg aus Verzweiflung und Angst blitzschnell in den Hals gebissen hat. Wenn ich dann drandenke, wie wir vor einigen Wochen mit Antonio in Zürich in der Kinderklinik waren und er bereits für die Blutabnahme ein Schmerzpflaster im Voraus bekam;  dann muss ich mir verbieten zu vergleichen. Uns geht es inzwischen so, dass wir auch Patienten abweisen müssen, da wir den Zulauf nicht mehr schaffen. Und manchmal fährt auch schon mal die Ambulanz mit Blaulicht bei uns vor und möchte Patienten bringen. Dies lehnen wir jedoch strikt ab, obwohl es uns auch nicht gut geht dabei. Wir hoffen, dass die Menschen eines Tages ihr Recht auf menschlichen Umgang einfordern und nicht mehr alle Schikanen erdulden. Sie müssen für diese Tortur auch noch eine ganze Menge bezahlen.

Bertrami, ein Kleiner aus unserem Kindergarten, hat vor einigen Tagen auf tragische Weise seinen Papi verloren. Dieser Mann hatte Arbeit. Er war Kanalarbeiter. Er stieg ohne Schutzmaske und Schutzkleidung in einen verstopften Schmutzwasser-Kanal und erstickte. Es wird erzählt, dass der Unternehmer einen Fond für Schutzmasken und Schutzkleider für seine Arbeiter  bekommen hat,  dieses Geld aber in die eigene Tasche steckte. So musste der junge Mann sterben. Zwei Kollegen wollten ihn noch retten, wurden dann selber bewusstlos geborgen. Jetzt wird alles vertuscht und die Frau mit kleinen Kindern bekommt keinen Pfennig. Dies ist der Beginn der totalen Verelendung der Familie, eine  von vielen. Der Arbeiter allein wird für schuldig erklärt, weil er leichtsinnig war. Keiner sagt etwas und verlangt nach Arbeitsschutz, weil er Angst hat, seinen Job zu verlieren. So bleibt die Anonymität in  einem korrupten Systems; der graue Schleier, unter dem alles zugedeckt wird. Verantwortung ist ein Fremdwort. Der kleine Mann riskiert jedoch sein Leben im täglichen Einsatz.


So löschen gerade über Bardhaj die Männer mit blossen Händen und ein paar Ästen oder Stöcken das Buschfeuer und versuchen ihr Dorf zu retten. Die Badesaison hat auch be-gonnen und täglich hören wir von Badeunfällen. Oft gibt es keine Aufsicht und Rettungs-schwimmer am Strand.  Die Ambulanz in Velipoje, die dort positioniert ist, hat jedoch kein Benzin mehr für Rettungsfahrten. Dies brachten sogar die örtlichen Nachrichten.


Und doch suchen die Menschen besonders am Abend die Gemeinschaft. In der Stadt ist viel los, die Menschen trotzen dem Wassermangel, dem Stromausfall, der Hitze. Wir staunen oft, wie durchhaltefähig die Menschen sind, wie sie ihre Überlebensstrategien finden und uns eines vormachen: jeder Tag ist ein neuer Tag. Und wenn man lebt, dann lebt man.  Und so sitzen auch wir hin und wieder unter unserer Trauerweide und sinnieren über Gott und die Welt, die immer noch ist.  Anja, unsere erste Praktikantin, ist gerade da und bringt Neuigkeiten aus Sarajevo. Schwester Laetitia zaubert leichte Töne aus ihrer Querflöte, die wie ein frischer Wind in der Abendhitze sind und Kühlung versprechen. Und so bitte ich den Schöpfer wie jeden Abend, dass ER Seinen Segen über dieses Land senden und die Welt vor Unheil bewahren möge.
Mit herzlichen Gruss und Dank für all Eure Unterstützung. Gott segne Euch und uns alle


Eure Sr. Christina

 

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