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Feuer und Wasser

Liebe Freunde in der Heimat,


Grüss Gott. Und wer Urlaub hat, dem wünschen wir gute ruhige Tage in diesen Ausnahme-zeiten. Wir wären eigentlich jetzt auch in der Schweiz und dann in Deutschland, aber wir bekamen mit unseren zwei albanischen Jungs keine Einreisegenehmigung. CORONA hat zugeschlagen. Schwester Michaela ist vor drei Tagen los nach Rheinau, um unseren Bus in den Service zu bringen und für die Ambulanz Nachschub zu holen. Wir hoffen, dass sie nun morgen ohne Probleme hier wieder einreisen kann. CORONA hat bislang die Hilfstransporte nicht zustande kommen lassen. Nun, aber CORONA und die damit verbundenen Mass-nahmen hindert uns nicht, das Wesentliche zu tun. CORONA hindert mich nicht, das Leben in vielen Facetten zu begreifen und mich nicht eingrenzen zu lassen von dem, was täglich über dieses Virus berichtet wird. Ich kann darüber hinausdenken und fühlen und Dinge wahrnehmen, die auch noch da sind. Und so sind wir hier im heissen August.

Gerade warten wir auf ein Baby, das in Tirana mit Kaiserschnitt zur Welt kommen soll oder muss. Die Mama wurde in Shkoder nicht angenommen. Dank Irena, unserer unermüdlichen Mitarbeiterin, hat sich der Arzt in Tirana bereit erklärt, an diesem Tag heute vom Strand zu kommen und den Kaiserschnitt zu machen. Dies ist hier nicht selbstverständlich.

Ja, das Wasser, der Strand, das Meer ist in diesem Monat wirklich Lebenselixier für Viele. Wir waren einige Male mit den Kids im «Gardenland». Es ist ein Ferienhotel mit grossem und sauberem Schwimmareal. Und Abri rutscht vom Rolli direkt ins Wasser. Toni quietscht vor Vergnügen und fliegt förmlich im Wasser. Gestern haben wir allerdings alle Atemprobleme bekommen. Ringsum brannte an den Hügeln der Wald und die Rauchwolke war zwischen-durch beissend und legte sich auf die Atmung. Es war für mich irgendwie paradox: «Ich schwamm im Wasser rum und schnappte wegen dem Waldbrand nach Luft». Die Asche legte sich dann wie ein Film auf das Wasser. Und ich war plötzlich auf eigenartige Weise mit den zwei Elementen konfrontiert. Ja, die Wälder brennen überall und auch im Kloster mussten wir die Tage vorher öfters die Fenster schliessen, da der Brandgeruch sehr stark war.

Bei Temperaturen von 38 bis 40 Grad denken wir dann auch an die vielen Kranken, die in ihren Betten hier wirklich nur noch leiden. Die Häuser sind nicht isoliert – es dampft, die Fliegen machen sich an die teilweise offenen Geschwüre der Leidenden ran. Heute Nacht nun sah ich dann um 23.00 Uhr hinten am See starkes Wetterleuchten. Eine Stunde später zuckten unzählige wunderbare Blitze fast ununterbrochen vom Himmel und ich schaute diesem Schauspiel eine halbe Stunde gebannt zu. Ja, die Blitze hielten mich in ihrem Bann und ich dachte unwillkürlich an die Feuersäule der Israeliten, die durch das Rote Meer schritten und Gott in der Feuersäule sahen. Und auf der anderen Seite auf den Hügeln da brannte es zu dieser Zeit noch lichterloh und die Flammen züngelten meterhoch. Und ich stand irgendwie dazwischen und spürte wie mich dieses Land in seiner Schroffheit und Ursprünglichkeit und auch Schutzlosigkeit nur auf den EINEN verweist. Und als ich da stand, da kam mir die Saga des Prometheus, wie er den Menschen das Feuer zurückgebracht hat und Zeus ihn dafür an den Felsen nagelte. Und ich fragte mich, ob ich nun hier und sofort den Mut aufbringe, meinen Schöpfer in aller Ernsthaftigkeit um das Feuer des Geistes Gottes bitte, dass mich das Leben geben lässt, wenn es darauf ankommt. Innerlich ging ich irgendwie schlotternd vor einem grossen Geheimnis in die Knie. Und der Regen kam, wenigstens kurz. Dieses Nass schien mir kostbar wie schon lange nicht mehr. Feuer und Wasser! Und ich dachte daran, wie es wohl wäre, wenn die Menschen die Energie eines Blitzes speichern könnten. Wieviel Strom hätten wir! Versuchung, mir eine Allmacht anzueignen, die mir nicht zusteht!!  Wie gut, dass sich die Urgewalt des Blitzes nicht gefangen nehmen lässt – egal für welchen Zweck. Unkontrollierbar und gut so!

Bislang hatte ich bei so einem Unwetter hier immer Schwester Michaela zur Seite. Heute Nacht bin ich allein mit den Kids und der jungen Ida, mit der Sicherung des Hauses, mit den zwei Hunden im Hinterhof. Die Kids schlafen; die zwei Hunde sind ruhig, einzig das Gewitter und der Sturm sprechen in mein Schweigen, zu mir – ich bin die Hörende, die Suchende.  Ich spüre meine menschliche totale Kleinheit vor diesen Naturgewalten und weiss einmal mehr, dass mich diese Gewitternacht auf die Demut verweist; die Tugend, die mir wohl oft genug abhandenkommt. Und in diesen Nachtstunden ist drüben auf den Feuerhügeln durch den Regen der Brand gelöscht.

Die Kühle draussen lässt mich um 4.00 Uhr die Fenster aufreissen. Der Morgen bricht langsam durch. Und so ein ganz anderer Morgen ist für Kini angebrochen; der Morgen der Ewigkeit. Nicht Covid, sondern der Knochenkrebs mit Lungenmetastasen hat seinen vor Kraft strotzenden Körper innerhalb von 9 Monaten aufgezehrt. Ich habe schon von ihm erzählt. Nun, wir konnten den Familienvater noch in der Isolationsphase wegen Corona von Italien repatriieren. Wir trieben Sauerstoffflaschen auf, damit seine massive Atemnot etwas erleichtert werden konnte; wir konnten ihm Schmerzmittel und Antihustenmittel geben. Und wir begleiteten Kini und seine Familie in dieser Zeit intensiv. Er hinterlässt, neben seiner Frau, zwei Töchter und einen Sohn mit 13 Jahren. Sebastian ist der Schulfreund von Abraham. Auch Abri und Leo haben sich in diesen Wochen als treue und zuverlässige Freunde von Sebastian gezeigt. Sie haben mitgelitten und sich mit Sterben, Tod und Trauer konfrontiert und sind nicht vor dem Leid weggerannt. Die Kids hier lernen schnell, dass das Leben kein Ponyhof ist. Und sie müssen dies auch lernen in diesem Land, das hart aber auch real und «geerdet» ist. Die verlogenen Schnörkeleien fehlen hier im Norden noch – Gott sei Dank. Die «Spass-Partys» sind mit Corona hier nicht aus oder verboten, sondern die gab es gar nicht.

Zurück zu Kini: Drei Tage vor seinem Tod wollte er unter allen Umständen noch zum Heiligen Antonius nach Lac. Es ist der Pilgerort, zu dem jeder Albaner geht – egal welchen Glaubens oder Nicht-Glaubens. Kini war zu dieser Zeit schon nicht mehr fähig, ein paar Meter selbst zu gehen. Aber er war entschlossen, den Heiligen zu besuchen, auch wenn er dort sterben würde. So ermutigte ich seinen Schwager, ihn dorthin zu bringen – mit einer transportierbaren Sauerstoffflasche. Mir war irgendwie klar, dass dieser Mann diese Wallfahrt für seinen letzten Weg braucht. Und er schaffte es. Dann, drei Tage später schafft er seinen letzten Weg. Ich werde gegen Abend gerufen. Vorsichtshalber packe ich noch ein paar Handtücher ein, weil der Bruder sagt, er habe die letzten Stunden Blut gehustet. Weihwasser nehme ich mit, das Sterbekreuz auch. Es ist Hektik und Hilflosigkeit im Haus, als ich komme. Aber die Verwandten beruhigen sich schnell, als ich zu Kini trete. Es ist mir klar, dass er nun in der akuten Sterbephase ist. Er möchte sitzen; wir helfen ihm und auf einer Seite bin ich, auf der anderen einer seiner Brüder. Leise rede ich zu ihm und er hört alles. Ich sage ihm, dass er weitergehen darf, dass er diesen Weg gut macht, dass er nicht mehr kämpfen muss. Wir beten, ich sage die Allerheiligenlitanei, die Angehörigen antworten: «Bitte(t) für ihn». Seine Frau und seine Kids und nahen Verwandten sind nun um das Bett, berühren Kini und lassen ihn wissen, dass sie da sind. Sie verabschieden sich schmerzlich, aber lassen ihn los. Sebastian küsst seinen Papa das letzte Mal. Dann möchte der Sterbende besser aufsitzen. Ja, er möchte aufrecht an der Pforte des Paradieses stehen – so scheint es mir. Der Bruder steigt ins Bett und Kini lehnt sich in den Schoss des Bruders. Und so geht er fast leicht – so leicht, dass alle erstmal nur schweigen – Kini und sein Sterben haben in diesen Momenten das Weinen und Klagen der Frauen gestoppt. «Hier ist heiliger Ort, hier ist Respekt vor dem Tod». Das war die Botschaft.  Und Corona?

Das Virus hat bei diesem Geschehen einfach keinen Platz. Im Sterben keine Nähe geben, im Sterben dem Sterbenden nicht den Todesschweiss wegwischen, nicht den letzten Kuss geben, das ist hier nicht möglich, das wäre für die Leute aus den Bergen der Tod jeglicher menschlichen Kultur. Es gibt darüber nicht mal einen Gedanken, dies überhaupt aus irgendwelchem Grund zur Disposition zu stellen. Dies ist mir in diesen Minuten mehr als bewusst; so bewusst, dass auch ich gar nicht darüber nachdenke. Ich bin ein Teil dieses Geschehens. Corona ist völlig wie entmachtet – vom Tod als Geschehen des menschlichen Lebens selbst. Ewigkeit steht wie mit Blut geschrieben im Raum. Es wäre für diese Menschen hier der psychische, soziale und spirituelle Tod, wenn sie sich hier im Sterben nicht eng versammeln könnten. Sie geben dafür ihr physisches Leben, wenn es dann nötig wäre. Und ich spüre, dass dies weit ab ist von so schnell gesagter «Verantwortungslosigkeit oder Leichtsinn». Dies alles ist jenseits von Corona und jenseits der Massnahmen, jenseits von was weiss ich…Es ist das ursprüngliche Leben der Menschen hier. Und ich bin wieder mal ein Teil des Lebens dieser Menschen hier geworden. Und als ich gehe, bitten sie mich, dass ich ihnen und dem Toten nochmal das Kreuzzeichen gebe. Es ist schon Abend und dunkelt ein. Kini hat ausgelitten. Und seine Familie braucht uns. Die nächsten Tage werden schwer für sie. Die Zeremonien der Beerdigung nach der Tradition des Kanuns steht bevor. Die Trauer hat ihren Platz und Corona wird auch hier verbannt.

Ich möchte zufügen, dass wir uns hier keineswegs gegen Corona-Sicherheitsmassnahmen aussprechen. So habe ich in den letzten Wochen, nachdem ich wieder gesund war, drei Workshops zu Corona und den möglichen Schutz davor abgehalten. Wir sind darauf bedacht, die Menschen zu schulen, dass ein Mindestmass an Eigenverantwortung im Schutz gegen Corona erlernt und ermöglicht wird. Dabei ist die Spannweite auch gross. Ich tue mich, ehrlich gesagt schwer, den Roma in der Siedlung zu vermitteln, dass sie sich sehr oft die Hände waschen müssen, diese aber kein fliessendes Wasser zur Verfügung haben. Ich kann nicht Händewaschen mit Seife fordern, wenn Seife unerschwinglich teuer ist für eine Familie. So haben wir diese Monate «gefühlt» tonnenweise Seife gekauft und verteilt. Ich kann nicht sagen, dass die Mitglieder einer Familie nicht aus einer Flasche trinken dürfen, wenn sie nicht für jeden ein Glas haben usw. So gehen wir hier die ganz kleinen Schritte: wir gucken, wen wir mit welcher Situation vor uns haben und raten dann, suchen dann nach der sichersten Lösung, die ein Mindestmass an Sicherheit geben kann. Alles andere, jede geforderte Massnahme, die sowieso nicht eingehalten werden kann, bringt das Gegenteil: die völlige Ignoranz. Und wieder mal gilt es - wenigstens für uns: individuell oder für kleine Gruppen das raus zu fühlen, zu hören, was so oft gesagt wird: «Die Menschen da abholen, wo sie gerade stehen.»

Ich hoffe, ich habe Euch nun mit diesen Eindrücken, die ich geteilt habe, nicht bedrückt. Das ist mir fern. Ich danke für alle Mitsorge in diesen Wochen, für jedes Gebet, für jedes Paket und für jegliche materielle Hilfe, damit wir helfen können. Gottes Segen erbitten wir Euch gerne.

Mit herzlichem Gruss und dem Wunsch für eine gute restliche Sommerzeit

Eure Sr. Christina

 

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