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Wenn der Frühling durchbricht

Liebe Schwestern und Brüder, liebe Freunde

Vielleicht bin ich zu mutig, wenn ich den Frühling erwähne. Draussen im Garten blühen viele Osterglocken, die Veilchen, Gänseblümchen, Primeln, Hyazinthen. Dieses Jahr alles miteinander. Die letzte Woche habe ich zu den Knospen fast sagen wollen: Bleibt noch geschlossen, es kommt schlimmes Wetter! Sie haben meinem Rat getrotzt und sich Sturm und Regen und sogar einmal dem Hagel ausgesetzt. Der Pflaumenbaum ist weiss wie Schnee von Blüten und die Bienen haben ihn gestern in zwei Sonnenstunden besucht. Es ist, als wüsste die Natur nichts von «Corona», der (die, das??) die Welt in Atem hält.


Im Hymnus des Morgengebetes lese ich jetzt beim Sonnenaufgang: «Die Erde zu heilen, schuf Gott diese Tage.» Jeden Tag bekommen wir besorgte Anfragen aus der Heimat, wie es uns denn mit dem Coronavirus gehe, ob wir noch gesund seien, alles haben. Für diese Fürsorge danken wir sehr. Wie es uns damit geht? Ich sage manchmal für mich «Korönchen» zum neuen Weltbeherrscher. Ob er weiblich oder männlich ist, weiss ich nicht, lieber ein ES vielleicht??
Uns geht es gut. Laut den nicht mal 100 Tests, die hier gemacht wurden, hat Corona an den Grenzen Albaniens bislang Halt gemacht. Eine Grippe mit Halsweh, hohem Fieber, Gliederschmerzen, trockenem Husten, Lungenentzündungen haben wir hier alle bereits mehr oder weniger überstanden. Abri hatte es am schwersten erwischt. Wir hatten und haben viele Patienten, die alle diese schwere Grippe haben. Ein paar Krankenhäuser fragten uns um Schutzmasken an; zum Schluss haben wir, aus Einmalwaschlappen mit tollem Material, Schutzmasken selbst genäht. Die stehen uns nun zur Verfügung.


Die Fachleute hier haben folgende Gründe bekannt gegeben, weshalb Albanien (noch) Coronafrei ist: die starke Immunität der Menschen, da sie täglich mit Unmengen von Viren und Bakterien zu tun haben und/oder das Klima. Ob Korona es lieber warm oder kühl oder nass oder trocken mag, das ist offen geblieben. Uns beschäftigt mehr die Frage, warum die ganze Welt paralysiert ist und sich von einem kleinen Virus so in Angst und Schrecken versetzen lässt. Vielleicht haben wir es hier leichter. Wir haben eigentlich gar keine Zeit für Panik und Angst. Jeder Tag hat so viel an Lebensbedrohlichem, an Überlebenskampf, dass wir gelernt haben, im Bewusstsein zu leben, dass wir immer nur in die Hände Gottes fallen – egal was passiert und ist. Diese «Erdung» und gleichzeitig Vernetzung zum Allmächtigen lässt uns soweit gelassen bleiben. Und wenn dann offiziell Corona auftaucht, dann können wir hier eh nix machen, ausser eben uns im Chaos durchwurschteln, wie wir es eh gewöhnt sind. Und wie dann die Versorgungslage sein wird, das wird sich zeigen. Die Menschen sind gewöhnt, dass sie nur Käse und Milch von der Kuh haben. Desinfektionsmittel haben sie nie gehabt, selbst Seife ist seit eh und je Luxusartikel für die Bevölkerung hier aus den Bergen. Und die Leute sagen uns, dass sie vor Corona keine Angst haben; sie haben schon mehr überstanden.
Und so erzähle ich nun von der neu entstandenen Frauengruppe hier im Kloster. Lule und ihre Freundin waren dafür ausschlaggebend. Die Freundin, eine junge Mutter von drei Kindern, wurde von Lule schwer verbrannt in die Ambulanz gebracht. Beim Verbrennen von Müll ist etwas explodiert und die Stichflamme hat ihr Gesicht und beide Hände verbrannt. Als ich ihr Ruhe verordnete, weinte sie lautlos. Wieder mal spielte sich dasselbe Drama ab: Mütter können hier nicht einfach so mal krank sein und ausruhen. Es wird auch vom Umfeld nicht toleriert. Es stellte sich – wie schon so oft – heraus, dass diese Mutter völlig überfordert ist. Wenigstens schlägt sie ihr Mann nicht, aber der ist jeden Tag in der Stadt, um sich am Strassenrand als Tagelöhner zu verdingen. Manchmal hat er Glück, öfters kommt er völlig frustriert nach Hause. Hausarbeit jedoch lehnt er als Ehrbeleidigung ab. Wir kommen ins Gespräch. Lule kennen wir schon 14 Jahre. Damals wurde ihr Bruder wegen Blutrache erschossen. Er war verheiratet und hatte drei kleine Mädchen, die Kleinste war 2 Monate alt. Die junge Mutter war damals gerade mal 21 Jahre alt und völlig mit der Situation überfordert. Lule hat sich seitdem der Erziehung der drei Mädchen gewidmet; sie ist Lehrerin. Nun, wir reden und reden; die Verletzte hört auf zu zittern und lässt mal alles raus. Und am Ende der medizinischen Versorgung steht dann der erste Frauentreff im Kloster. Lule möchte alle ihre Freundinnen aus dem Wohngebiet drüben mitbringen. Letzte Woche war es dann soweit. Ich zweifelte glatt, dass sie kommen. Aber sie kamen. Erstmal vier Frauen zum Gucken, wie das so wird. Wir hatten den Tisch im Saal schön gedeckt und Kaffee und Kekse vorbereitet. Die Frauen sollten einfach mal eine Stunde frei atmen können. Und das taten sie dann auch. Und sie fingen an, ihre Geschichten zu erzählen. Diese Geschichten wären es wert, in Bücher geschrieben zu sein. Es sind Geschichten von Frauen, die unglaubliches durchgemacht haben. Sie haben durch Blutrache, Verlust der Kinder, Gewalt, Hunger, Rechtlosigkeit und viel, viel Arbeit eine ungewöhnliche seelische Stärke entwickelt, keineswegs Härte. Was hat sie gehalten? Der Glaube, wie sie sagen, ein gewisser Humor der albanischen Berge, wo sie herkommen, sich nicht beugen vor Selbstmitleid. Ich erlebe in ihnen volle seelische Gesundheit, aber auch Ehrlichkeit, ehrliche Klage, ärgerliches Schimpfen, ehrliches Lachen, ein beherztes sich Einsetzen, und den gewissen Trotz der albanischen Frau: sie trotzen allem, weil sie letztlich für das Leben verantwortlich sind. Und sie lassen raus, dass sie in dunkelsten Stunden den Rosenkranz gebetet haben. Eine Bibel haben sie nie gelesen, über ihre Gottesbeziehung reflektieren sie nicht unbedingt, aber sie glauben, dass Gott ihr Leben in der Hand hält und ihnen das Leben aufgegeben hat. Das reicht ihnen. Und so gehen sie auch mit der Bedrohung durch Corona um. Dieses, die Welt beherrschende Virus, bedroht sie gar nicht. Sie staunen, als ich sie danach frage. Und sie lachen, als ich wissen möchte, ob sie davor denn keine Angst haben. «Nein, Schwester. Wir haben schon viel Schlimmes überstanden, zwei von uns hatten Cholera. Wir werden den auch schaffen und wenn nicht, dann ist es halt Zeit zum Sterben!» Ja, das sagen sie so. Ich denke, wo der Tod täglich wirklich so nah ist wie hier, da kann man so mit dem Leben umgehen. Und diese Frauen sind glücklich in diesen Stunden hier. Und Corona beherrscht diese zwei Stunden keineswegs. Ich lerne wieder mal intensiv von unseren Frauen und habe Hochachtung.Nach zwei Stunden gehen sie und Lule möchte in zwei Wochen weitere Frauen mitbringen. Mri sagt schmunzelnd: «Weisst Du, wir wollten erst mal gucken, wie das so ist hier. Jetzt kommen wir aber alle.» Ein kleiner Frühling im Lebenssommer!


Mehr als Corona beschäftigt uns täglich die Situation der Alten und Pflegebedürftigen in den Häusern. Seit Wochen und Monaten kommen Angehörige von bettlägerigen Patienten mit Fotos von diesen. Wir sehen verfaulende Menschen. Sie sind unversorgt mit schweren Dekubiti. Wir können das nicht mehr beschreiben. Die Patienten sind wund gelegen bis auf die Knochen: Gesäss, Schultern, Fersen, Beckenknochen, alles, alles. Teilweise kommen sie so aus den Krankenhäusern zurück. Die Familien sind nicht vorbereitet, haben keine Pflegemittel, keine Ahnung usw.


Eine Frau und Mutter von zwei noch kleinen Söhnen hat drei alte Familienangehörige zu versorgen. Nun kam sie zu uns und bat um Hilfe. Was ich dann draussen sah, ist eigentlich unbeschreiblich: im ersten Stock liegt ihre Mutter. Sie hatte einen Beckenbruch, war einige Tage im Krankenhaus und kam völlig aufgelegen zurück. Das Bett ist eine Holzpritsche, die alte Frau hatte keine Schmerzmittel und die Wunden waren nicht verbunden. Sie stanken fürchterlich und die pflegende Familienmutter wusste nicht mehr weiter. Sie hatte ein paar Röcke zerrissen und rumgewickelt. In einem anderen Zimmer im Erdgeschoss liegen die Schwiegereltern. Die Schwiegermutter ist dement und macht Dinge, die gefährlich sind. Der Schwiegervater liegt auch auf einer Holzpritsche und ist seit fünf Jahren gelähmt. Ambulante Versorgung gibt es nicht. Wir haben nun wenigstens das Notwendigste eingeleitet und die Frau ist etwas entlastet. Finanziell ist diese Familie aber schon lange am Ende. Dies ist kein Einzelfall; jeden Tag kommen verzweifelte Bitten um Hausbesuche zu uns. Derweil sind wir in Planung für einen Kurs für pflegende Angehörige. Die schwere Grippewelle hat uns da aber eingebremst.


Wir sind besorgt über diesen äussersten Pflegenotstand. Und Krankenschwestern, junge Arbeiter sowie Fachkräfte werden massiv vom Westen abgeworben. Das Land hier blutet aus, die Alten bleiben alleine zurück. Ein soziales Netz dafür gibt es bislang nicht. Wir suchen nun nach gangbaren Möglichkeiten, denn wir können unsere Augen vor diesem bereits begonnenen Notstand nicht verschliessen. Wir brauchen flächendeckende ambulante Versorgungsstrukturen. So fangen wir mal in der Frauenrunde damit an. Ich denke, diese Frauen sind fähig, sich um andere zu kümmern. Ganz einfach, ganz basal, kostet nix oder wenig. Es braucht nicht so viel. Dies ist jedenfalls mal unser nächster Schritt.


So gehen wir durch die Fastenzeit und trauen der Führung des Allmächtigen und richten unseren Blick weniger auf Corona sondern in diesen Tagen auf den Herrn mit der Dornenkrone, der uns und die Schöpfung durch sein Leiden erlöst hat. Und wir hoffen und wünschen Euch allen den freien Blick durch diese Krisen- und Fastentage auf Ostern hin. Und wir danken für alle Gebete und alle Unterstützung und erbitten Euch den Segen Gottes.


Eure Sr. Christina mit Sr. Michaela

 

rundbrief mrz 2020

 

 

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